Auf kleinen Rädern unterwegs

Berliner Morgenpost Sonnabend, 19. April 2003
Die Klappräder sind wieder da. Sie sind zwar nicht schnell, lassen sich dafür aber zusammengeklappt in Bus und U-Bahn mitnehmen – sogar gratis
Es sind vor allem Familien und ältere Ehepaare, die vor Beginn ihres Wanderausfluges einen Parkplatz am pfälzischen Weinörtchen passieren. Doch während sie diese Stelle normalerweise keines Blickes würdigen, bleiben viele stehen und staunen. Zwischen Kleinbussen haben sich sportlich bis seltsam gekleidete Leute versammelt, die letzte Handgriffe an ihren nicht minder merkwürdigen Fahrrädern vollführen.

Den Passanten erscheinen die Drahtesel vertraut und fremd zugleich. Die kleinen 20-Zoll-Räder und das Scharnier in der Rahmenmitte weisen eindeutig auf die Klapprad-Typen der 70er Jahre hin. Die teils neu montierten Rennsättel oder -lenker können dagegen nur von Eingeweihten richtig gedeutet werden: Es geht um den Kalmit-Klapprad-Cup (KKC), den elften bisher. 24 Teilnehmer sind angetreten, um eine knapp sechs Kilometer lange Strecke auf die Kalmit, die örtliche, 673 Meter hohe Erhebung hinauf zu radeln.

Als der Hobby-Rennradler Peter Zürker 1992 zusammen mit Freunden den Kalmit-Klapprad-Cup erfand, konnte er noch nicht ahnen, dass er damit so etwas wie einen Trend setzen würde. Denn eigentlich hatten die Jungs aus der örtlichen Radler-Szene rund um Speyer nur nach erschwerten Bedingungen für ein Spaßrennen gesucht: Nach einem Fahrrad, das für Wettkämpfe denkbar schlecht geeignet ist – dem Klapprad. Denn als es Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre in großen Mengen auf den deutschen Markt kam, ging es nicht um Sport, Leistung oder Fitness. Das Klapprad war lediglich als Accessoire zum König Auto erdacht: In der Mitte zusammengelegt sollte es im Kofferraum Familien ins Naherholungsgebiet begleiten.

Mit Beginn der 80er Jahre war jedoch der Wackelspaß vorbei. Die Grünen wurden groß, die Umwelt wichtig und Fahrrad fahren zur gesunden, mobilen Alternative. Klappräder, weil zu instabil und auch viel zu lahm, genügten den gestiegenen Ansprüchen nicht mehr. Stattdessen begannen vor allem Mountain-Bikes zunehmend das Stadtbild zu erobern. Nur trend-resistente ältere Herrschaften zockelten weiterhin mit ihren 20-Zollern zum Supermarkt.

Modernere Zeitgenossen hingegen brachen bei der Jagd durch den Asphaltdschungel auf ihren High-tech-Bikes täglich ihre persönlichen Rekorde. Rekordverdächtig entwickelte sich allerdings auch die Zahl der Fahrraddiebstähle. Ein gutes Mountainbike kostet schnell mehrere hundert Euro und gilt unter Räubern als begehrtes Diebesgut. „Ich hatte insgesamt sechs Stück“, erzählt z..B. die 32jährige Katja aus Mitte. „Alle geklaut!“. Braucht man wirklich 24 Gänge und Vollfederung, wenn man nur mal eben zum Bäcker um die Ecke will? Wie Katja stellten sich Ende der 90er Jahre immer mehr passionierte Radler diese Frage und begannen, die verstaubten Klappräder zu reaktivieren. Für Hehler waren die sichtlich veralteten Drahtesel praktisch unverkäuflich. In der Szene hingegen galten sie zunehmend als Geheim-Tipp: Das 70er-Jahre-Revival gewann gerade an Fahrt. Wenn sich jetzt, mit den ersten warmen Tagen, Radfahrer wieder invasionsähnlich über die Hauptstadt ausbreiten, dann sind auch immer mehr Klappräder darunter.

Das ulkige Design der Klappräder hat inzwischen auch außerhalb kleiner Szene-Kreise Liebhaber gefunden. Die Grafikerin Elle aus Mitte bewältigt ihren täglichen Weg zur Arbeit mit einem altgedienten Scharnier-Rad der Marke „Rotary“. Der Student Gerd aus Prenzlauer Berg sorgt auf seinem gebrauchten „Strada“-Klapprad für neugierige Blicke. Das „Karaoke-Monster“ Ron, ein DJ aus Friedrichshain, ist auf seinem grünen Mifa-Klapprad noch aus DDR-Produktion unterwegs. Und Christiane, eine Fahrradkurierin, entspannt in ihrer Freizeit vom täglichen Stress beim Kampf gegen die Uhr und zockelt gemütlich auf ihrem betagten „Brilliant“-Klapprad durch die Gegend.

„Klappräder sind total im Kommen“, hat Ulrich Kohnke, Inhaber des Ladens „Fahrradservice & Countrybar“ an der Friedrichstraße in Mitte beobachtet. Seiner Meinung nach erfreut sich das Klapprad aber nicht nur unter modischen Aspekten einer zunehmenden Beliebtheit. Auch praktische Erwägungen spielen eine immer größere Rolle: Zusammengelegt gelten Klappräder in öffentlichen Verkehrsmitteln lediglich als Gepäckstück. „Man muss für sie in Bus, S- und U-Bahn kein Extra-Ticket kaufen. Auf so was achten die Leute heutzutage“, so Kohnke.

Da konnte es nicht lange dauern, bis auch Fahrradhersteller bemerkten, dass das Klapprad der 70er Jahre wieder an Freunden gewonnen hat. Der brandenburgische Fahrradgroßhändler BBF etwa vertreibt Klappräder, die ihren Vorbildern aus den 70er Jahren ähnlich sehen. Und auch die Pantherwerke aus dem nordrhein-westfälischen Löhne stellen für ihre Marken „Bauer“ und „Göricke“ neue Klapprädern im Nostalgie-Look her.

Kein Wunder, dass nun auch Falträder – sie sind die technische Fortentwicklung von Klapprädern – optisch wieder an ihre „Vorfahren“ erinnern. Dass man mit Fahrrädern im Klapprad-Look sogar wieder Preise gewinnen kann, beweist Konstrukteur Axel Schauff: Das von ihm 1996 entworfene 20-Zoll-Rad „La Luna“ wurde vom Designzentrum Nord-Rhein-Westfalen ausgezeichnet. Erst bei näherem Hinsehen fällt auf, dass „La Luna“ kein Klapprad ist: Es fehlt das typische Scharnier in der Rahmenmitte.

Für Anwärter auf den nächsten, am 6. September unter dem Motto „Deutschland sucht den Klapprad-Star“ veranstalteten „Kalmit-Klapprad-Cup“, kommt das „La Luna“ deshalb als Sportgerät nicht in Frage. Doch auch die Besitzer der meisten anderen Neu-Klappräder müssten am Fuße der Kalmit unverrichteter Dinge wieder von dannen ziehen. Weil ihre Klapp-Bikes im Gegensatz zur Mehrheit früherer Versionen fast ausnahmslos mit Gangschaltungen ausgestattet sind, würden sie von vorneherein disqualifiziert. Teilnehmen dürfen auch in diesem Jahr nur Klappräder ohne Gangschaltung – egal ob alt oder neu.

Mehr über den Kalmit-Klapprad-Cup und alte Klappräder unter : www.kalmit-klapprad-cup.de sowie unter www.klapprad.de

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